Welche Frühwarnzeichen gibt es bei Stress. Wie merke ich, dass mein Körper in einer chronischen Stressbelastung ist? Darum geht es im folgenden Gastbeitrag von Dr. med Sarie Haisch.
Zur Person:
Frau Dr. med. Sarie Ann Haisch ist niedergelassene Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Areion Kompetenzzentrum in Neu-Ulm mit dem Schwerpunkt der Behandlung von stressassoziierten Erkrankungen. Zuvor arbeitete sie in diversen stationären Einrichtungen, z.B. der Universitätsklinik Ulm, dem Sanatorium Kilchberg in der Schweiz sowie im Zentrum für Psychiatrie in Ravensburg. Zudem absolvierte sie am CIP München eine Ausbildung zum Business Coach. Neben ihrer therapeutischen Tätigkeit bietet sie Seminare und Workshops für Unternehmen an. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören Burnout-Prävention, gesunde Mitarbeiterführung sowie Stärkung der Resilienz.
Inhalt dieses Beitrags:
- Welche Funktion hat Stress im Körper?
- Welche Stressoren gibt es im Alltag?
- Was sind kognitive Stresssymptome?
- Wie sehen emotionale Stresssymptome aus?
- Was sind körperlich/somatische Stresssymptome?
- Fazit
Welche Funktion hat Stress im Körper?
Zunächst müssen wir unterscheiden, dass nicht jede Stressreaktion ungesund oder krankmachend für den Körper ist. An sich hat diese nämlich eine sehr alte und gut „erprobte“ Funktion, den Menschen vor möglichen Gefahren zu warnen und sicherte hiermit das Überleben unserer Vorfahren.
Erst im Laufe der Jahre entstand die sogenannte „dysfunktionale“ und krankmachende chronische Stressreaktion, die unsere Vorfahren in der Steinzeit überhaupt nicht kannten. Der Unterschied hier war nämlich zum einen, dass der Grund für die Stressreaktion, der sogenannte „Stressor“ schnell wieder beseitigt war – nehmen wir das Beispiel des gefährlichen Bären, der die Stressreaktion auslöste – entweder der Mensch kämpfte oder ergriff die Flucht, um der Situation zu entkommen.
Dann trat der Bär dem – im besten Fall unversehrten Menschen – wieder aus den Augen und die Stressreaktion konnte wieder abfallen, der Mensch konnte in die Regenerationsphase übergehen und den „Akku“ wieder aufladen.
Welche Stressoren gibt es im Alltag?
Stellen wir uns nun parallel hierzu die heutigen Stressoren vor: der cholerische Chef im Büro, der Ehekonflikt, die Sorgen um den Arbeitsplatz, die Corona-Krise – all dies sind eher überdauernde Dinge, die man nicht mal „so eben“ durch Kampf oder Flucht beseitigen kann und die unser Leben somit nachhaltig und ohne „Aufschnaufphasen“ beeinträchtigen.
Zudem fehlen im heutigen Alltag oft die Regenerationsmöglichkeiten, in denen der Körper die Chance bekommt, die angestauten Stresshormone wieder loszuwerden. Hier ist allen voran regelmäßige Bewegung ein wichtiger Aspekt, aber auch die Pflege von sogenannten „Ressourcen“ (=Kraftquellen), die zum Abschalten und Auftanken nutzen. Diese können zum einen Tätigkeiten sein, aber auch bestimmte Orte oder Personen.
Wichtig ist es also, die eigenen Frühwarnzeichen für eine chronische, negative Stressbelastung (Distress) rechtzeitig zu erkennen. Je früher „gegengelenkt“ werden kann, umso besser für den weiteren Verlauf. Leider kommen viele Patienten in recht späten Stadien mit hoher Chronifizierung in meine Praxis. Die Frühwarnzeichen wurden nicht selbst erkannt und häufig werden sie auch durch viele Ärzte übersehen.
Man spricht von 3 unterschiedlichen „Ebenen“ der Stresssymptome, auf welche Sie aufmerksam sein sollten: kognitive Stresssymptome, emotionale Stresssymptome und körperlich/somatische Stresssymptome.
Was sind kognitive Stresssymptome?
Das ist zum einen die kognitive Ebene. Hierunter verstehen wir Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit, z.B. Konzentrationsprobleme, Aufmerksamkeitsstörungen, erhöhte Vergesslichkeit, erhöhte Frequenz von Flüchtigkeitsfehlern etc. Dies hat alles damit zu tun, dass das Gehirn unter dem langfristigen Einfluss von Stresshormonen auf „Sparflamme“ schaltet. Die normale Leistungsfähigkeit kann nicht mehr abgerufen werden. Diese kommt dann durch erneute Regeneration zwar wieder, jedoch kann dies leider recht lange dauern, bis die „volle Power“ wieder da ist.
Wie sehen emotionale Stresssymptome aus?
Zum zweiten ist dies die emotionale Ebene, welche sich im Rahmen einer chronischen Stressbelastung sehr häufig verändert. Man wird „dünnhäutiger“, reizbarer, die Stimmung verändert sich zum negativen Pol. Die Affekte schwanken stark und man kann sich weniger an schönen Dingen erfreuen. Zudem kann der Antrieb, also die Motivation zu positiven Beschäftigungen nachlassen, so dass hier in fortgeschritteneren Stadien ein Teufelskreis entstehen kann.
Was sind körperlich/somatische Stresssymptome?
Die meist am augenscheinlichsten betroffene Ebene ist die körperliche/somatische Ebene. Hier zeigt der Körper durch die anhaltend erhöhten Stresshormone oft typische psychosomatische Veränderungen. Hier zählen zu den „Klassikern“: muskuläre Verspannungen (insbesondere im Nacken- Rückenbereich), Kopfschmerzen, Tinnitus, Schwindel, Herzrasen, Blutdruckschwankungen, Magen- Darmprobleme, Hautprobleme, gehäufte Infekte etc. Die Symptome können sich durch jedes Organ oder Körpersystem ausdrücken und können auch gemeinsam auftreten oder im Verlauf wechseln. Allen gemeinsam ist nur die Tatsache, dass keine ausreichende somatische Ursache gefunden werden kann. Ich sehe es immer für sehr wichtig an, die Symptome trotzdem zuerst einmal körperlich abzuklären, um hier nichts zu übersehen, bevor wir diese als stressbedingt und psychosomatisch einordnen.
Fazit
Stress erfüllte bei unseren Vorfahren lebensrettende Funktionen. Er warnte vor Gefahren und sicherte das Überleben. Heutzutage gibt es diese lebensbedrohlichen Gefahren nicht mehr, aber Situationen, die im Körper Stress auslösen können. Es gibt 3 unterschiedliche Warnzeichen, d.h. Stresssymptome, die auf 3 unterschiedlichen Ebenen zeigen: die kognitive Ebene, die emotionale Ebene und die körperlich/somatische Ebene.
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Serie im Online-Magazin zu Ernährung, Psyche und mentaler Gesundheit mit Psychiaterin Dr. med Sarie Ann Haisch
Zusammen mit Frau Dr. med. Sarie Ann Haisch wird Medicom eine Serie von Gastbeiträgen über Ernährung und mentale Gesundheit veröffentlichen und einfache Gesundheits- und Ernährungsratschläge geben. Damit kann jeder für sich individuell Tipps und Empfehlungen lesen und anwenden. Das ersetzt nicht den Besuch beim Facharzt und Fachärztin. Es ist ein guter Ansatz sich zu informieren, zu motivieren und Möglichkeiten zu finden, Körper, Geist und einen gesunden Ernährungsstil zu unterstützen und zu stärken. So sorgt man aktiv für sich (Selfcare) und das eigene Wohlbefinden.
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